von Götz Hoffart

"Die Entdeckung der Langsamkeit" als menschenfreundliches Prinzip

Sten Nadolny erzählt in seinem Roman, auf wahren Tatsachen beruhend, die Geschichte von John Franklin. Seit frühester Jugend will dieser zur See fahren, er hofft, daß sein größter Fehler dort weniger Beachtung findet: John ist langsam.

Zeit findet für ihn in ganz anderen Maßstäben statt, er sieht die Welt mit anderen Augen, er kann dem Ball beim Fußballspiel nicht mit den Augen folgen, er sieht die Lippen und hört die Worte von Menschen, die ihn ansprechen, doch sie sind zu schnell.

 

John verfolgt dafür die kleinsten Dinge, die seiner schnelleren Umwelt entgehen. Ob es die Schliere im Auge ist, die mit der Blickrichtung mitwandert oder die Ohrwindungen des Schülers in der Bank vor ihm. Schnelle Antworten sind nicht seine Stärke, er überlegt lange und spricht langsam, doch die Antworten überzeugen. Insgeheim macht er Übungen, um schneller zu werden. Auf Bäume klettern, rennen, sich anziehen, ein Leuchtfeuer als Punkt und nicht als Strich wahrzunehmen, das alles sind Dinge, die ihm schwer zu schaffen machen.
Er wird erwachsen und bemerkt, daß er die anderen nach deren Maßstäben wohl nie einholen wird und zieht daraus seine Konsequenz: es gilt, präziser zu sein als all die anderen, die Einzigartigkeiten und Details zu erfassen. Er geht zur See und erwirbt Kenntnisse in Navigation. Seine ungeheure Geduld mit sich und anderen, sein Beharrungsvermögen und sein Verstand befördern ihn schnell zum Offizier, er überlebt die Schlacht von Trafalgar, bis er ein eigenes Schiff befehligt und die legendäre Nordwest-Passage finden will. Drei Arktis-Expeditionen werden von ihm angeführt, doch von der letzten kehrt kein Mann zurück, sie werden im monatelangen Kampf mit dem Packeis von der Arktis einbehalten.

Nadolny versteht es, den Leser in die Welt von John zu versetzen. Durch dessen
Langsamkeit entdeckt man die Details seiner Welt und obwohl der eigentliche Fortgang der Geschichte sehr schleppend erfolgt, ist man gebannt und fasziniert von der Gedankenwelt, die Nadolny aufbaut. Ein spannendes Buch, das zum Nachdenken über unsere schnellebige Zeit anregt und die Langsamen schnell erscheinen läßt.